Hochfranken-Feuilleton
 Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.  (Voltaire)

Guido hat euch lieb

in Draufgänger auf der Durststrecke: Dem abgehalfterten Schlagerfutzi Guido gehen die Frauen, die Auftritte und das wertschätzende Publikum verloren, aber nicht die Selbstachtung. In Bistro des Theaters Hof gründelt Thilo Andersson in alten Hitparaden und entdeckt die Liebe und den Mut.

Von der Nailaer Schaumparty direkt ins Theaterbistro: Thilo Andersson und Oliver Schmidt (links - Foto: H. Dietz Fotografie)


Von Michael Thumser

Hof, 25. September 2025 – Als Thilo Andersson vor 24 Jahren nach Hof kam, ging er glatt als der Peter Alexander des hiesigen Theaters durch. Jetzt ist er der Guildo Horn des Hauses. Als „singende Nussecke“ hatte der echte Guildo (mit l) 1998 seine große Zeit, als er, mit Stirn-Scheitel-Glatze vom Typ Hamilton-Norwood VI, schulterlangem Resthaar und seiner Band „Die orthopädischen Strümpfe“, den Eurovision Song Contest rockte. Kindlich trällerte er ein sinnfreies Liebesliedchen – und wurde überraschend Siebter: „Guildo hat euch lieb“. Kaum ein Herz konnte damals anders, als ihm zuzufliegen. Seither hat der Kurzzeitstar nicht nur Haare, auch Federn gelassen.

     Bei Thilo Andersson hingegen sitzt die Frisur und schwingt im Rhythmus alter deutscher Schlager: eine tolle Tolle. Und eine tolle Rolle: Als Guido (ohne l) stapft und stiefelt, tanzt und turnt der Sänger über die kleine Bühne von „Mocky’s Backstage Bistrot“, so gelenkig, dass niemand unter seiner grellorangen Siebziger-Jahre-Hose mit den Schuhgrößen-weiten Schlägen Stützstrümpfe vermuten würde. Allerdings: apropos Schlag – den früheren Schlag bei Frauen hat Guido heut nicht mehr, und bei seinen Auftritten – wie jüngst während einer „Mega-XXL-Schaumparty in Naila“ – muss er sich mit einem weniger wertschätzenden Publikum bescheiden. Jetzt positioniert er sich im Theater-Bistro gelegentlich mit einem kalten Bier im Schaukelstuhl, wenn er nicht am Mikrofonstativ die seit Jahren und Jahrzehnten gecoverten Hits aufs eigene Schattendasein anwendet.

Lasch wie Dosenspargel

Thilo Andersson: "Es ist aus mit Heike."

Hatte Guido je das Zeug zum Star? Heute jedenfalls umfunzeln ihn, statt Glanzlichtern, nur „Ranzlichter“. So überschrieb Knut Winkmann einen „Abend mit Musik über halbvolle Gläser“, dessen erster Teil 2015 das Uraufführungspublikum des Theaters Lübeck in einen solchen Taumel versetzte, dass er sich inzwischen zur „Kult-Trilogie“ auswuchs. Auch in Hof, bei der Premiere am Sonntag, zündete der Funke gleich: Kaum enterte Andersson – in Fransenjacke – das quietschbunte Siebzigerjahre-Kleinkunstbühnensetting, klatschten die vielfach mittelalterlichen bis spätmittelalterlichen Fans im Takt.

Dennoch reichen selbst Roland Kaisers „Sieben Fässer Wein kaum hin, sich die Welt schön zu saufen. „Es ist aus mit Heike“, der von Guidos Dosenspargel-Lebenslaschheit längst abgetörnten Partnerin, und jetzt erfährt er auch noch am Telefon, dass seine geplante Tour gecancelt wurde, zu seinem „eigenem Besten“. Mit den Rodgau Monotones gibt er zu: „Heute ist nicht mein Tag“, und weil sich gerade keine Gelegenheit ergibt, wie Ikke Hüftgold „Hackevoll durch die Nacht zu düsen“, fantasiert er sich, wie Rio Reiser, auf den Thron des allmächtigen „Königs von Deutschland“. Ein Traum, was sonst. Aber auch für einen Bettler ist er sich zu gut, und so erinnert er sich melancholisch an seinen allerersten Song, den er pubertierend einer Franzi dedizierte, und dankt in Gedanken einer Gabi, die für ihn nach „zwanzig Jägermeistern“ zum „Engel in der Notaufnahme“ wurde. Also reißt sich der „ranzig“ gewordene Restposten zusammen: „Du musst aus der Regenrinne saufen, auch wenn du winzig klein bist“, und wirklich reckt und streckt er sich, weil die nicht ganz unzerkratzte Kehle ja noch ein paar Takte durchlässt. Er wagt sogar, wie Nena, „irgendwie, irgendwo, irgendwann“ eine neue Liebe zu erwarten.

Aus Mut gemacht

Stoischer Begleiter in allen Lebens-, Lieder- und Niederlagen: Oliver Schmidt.

Denn auch die wird „aus Mut gemacht“, und an dem fehlts Thilo Andersson nicht. Als einer der Sympathiehelden des Hofer Theaters zieht er sich wie ein welkender Berufsjugendlicher die Schnulzenheini-Existenz an, mit witziger Wichtigtuerei und der Verve eines unbeirrten Ohrwurm-Aufwärmers, der als verlöschender Stern nicht zu hoffen aufhört, er könne noch ein bisschen was für sich abzweigen von der Strahlkraft der Stars seiner jungen Jahre. Ein Draufgänger auf der Durststrecke: Zu aufrichtig ist der Künstler, als dass er Guido kurzerhand als lächerlichen Kitschkasper bloßstellen wollte; vielleicht bekundet Andersson in der Rolle des unverdrossenen Untergehers hier und da auch ein Stück von sich selbst. Dazu gehört so viel Courage wie zur Liebe, und das lässt ihn, den Heldenmütigen und Nimmermüden, nur charmanter wirken. Die Zuschauerinnen und Zuschauer feiern ihn dafür, bis ihm Herz und Mund übergehen: Guido (ohne l) „hat euch lieb.“

■ Informationen über die Produktion und weitere Vorstellungen im Internet: hier lang.